Matthias Richter, München

Preisträger BDA Preis Bayern 2019

Was ist schön?

Matthias Richter, München

Was ist schön?

Preisträger

BDA Preis Bayern 2019 – Preis der Jury

Was ist schön? Wer einsam für sich allein versuchte, diese Frage zu beantworten, würde scheitern. Das weiß auch der Autor der vorliegenden Masterarbeit und nutzt daher verschiedene Medien und Meinungen für die Suche nach dem Schönen am Beispiel der Einfamilienhausarchitektur in den wachsenden Stadtrandsiedlungen der Metropolregion München.

Der ästhetisch sensibilisierte Architekt würde sagen, der Autor begibt sich auf eine Reise in die Abgründe der deutschen Vorortarchitektur. Daraus entsteht eine Arbeit, die sich ernsthaft und tiefgründig der toskanischen Villa und der Südstaaten-Veranda samt Schaukelstuhl in Olching oder Gröbenzell widmet. Über zeichnerische Analysen, analoge Fotografien, Interviews mit Bewohnern und eigene theoretische Überlegungen nähert er sich den Merkmalen und Hintergründen «pseudo-individueller Bebauung» im zersiedelten Speckgürtel.

Die Arbeit entlarvt ein Paradoxon: Wohnhäuser aus dem Katalog mit standardisierten Grundrissen, reichlich verziert mit Dekor aus dem Baumarkt, werden von den Bewohnern als Ausdruck von Individualität empfunden. Wer wagt da noch von Baukultur zu sprechen? Es fehlt an der Auseinandersetzung mit: «Wie möchte ich leben?» Es mangelt an Wissen um die Bedeutung einer dorischen Säule oder um die Wirkung von Farbe. Hauptsache die Fassade sieht anders aus als die des Nachbarn. Damit offenbart sich eine Diskrepanz zwischen der in Fachkreisen diskutierten Architektur als Baukunst und der real existierenden Baukulturlosigkeit.

Einen Grund für diese Entwicklung sieht der Autor in dem gesteigerten Wunsch nach Individualisierung — dem Gefühl, sich in einer globalisierten und medial ständig präsenten Welt neu verorten zu müssen. Das Primat individueller Identität gegenüber der gemeinschaftlichen Aushandlung von gebauter Umwelt zeigt sich in keiner anderen Architektur so deutlich wie im Einfamilienhaus. Die gebaute Mischung aus Banalität, stilistischem Chaos und übersteigertem Präsentationszwang anzuerkennen, verlangt ein «Überwinden der Ironie» seitens der Architekten.

In einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Begriff Schönheit schlussfolgert diese Arbeit, dass das Schöne nicht dem subjektiven Urteil unterliegt, sondern durch Experten — in diesem Fall Architekten — aufgrund ihres geübten Geschmacksvermögens bewertet werden kann. Der Autor fordert: neues Baurecht, neue Baupolitik, neue Werte. Was wie ein idealistischer Rundumschlag klingt, ist der Versuch, den Verlust des Experten zu thematisieren und Baukultur wieder als gesellschaftliche Verantwortung des Berufsstands zu diskutieren. Dies sieht die Jury als vordergründige Leistung der Arbeit und als Alleinstellungsmerkmal unter allen eingereichten Projekten. Möge die Auszeichnung mit dem Jurypreis ein Impuls für eine rege Diskussion sein.